Ist tatsächlich „neu immer besser“?

Kürzlich bekam ich einige Fragen zu „unserem“ Wirtschaftssystem und zu „unserer“ Gesellschaft gestellt und da sich ein spannender Austausch auf Basis der Fragen ergab möchte ich diesen hier inhaltlich für alle wieder geben, in der Hoffnung damit auch bei dem ein oder anderen offene Fragen zu adressieren.

Funktioniert unser Wirtschaftssystem nach dem Prinzip „Neu ist immer besser“?

Neu ist nicht notwendigerweise immer besser, aber profitabler ist immer besser als unprofitabler, wenn man den Maßstab des „privatrechtlichen Vermögenskalküls“ anlegt.
Dieser Maßstab ist die Wahrnehmung eines einzigen Attributs: die Höhe der Bewertung der geldwerten Rechte im Vermögen der so kalkulierenden Rechtsperson.

Muss die „Industrie“ ständig neue, innovative Produkte herausbringen oder sterben?

Eine nach dem privatrechtlichen Vermögenskalkül funktionierende Organisation muss potenziell jederzeit damit rechnen, dass eine andere Organisation eine Erfindung machen könnte, die die eigenen Vermögensrechte entwertet.

Ein konkretes Beispiel:
Deutsche Automobilkonzerne wenden sich jetzt deshalb verstärkt auch alternativen Antrieben zu, weil sie befürchten müssen, dass Innovationen anderer Organisationen sich derart durchsetzen könnten, dass damit ihre Vermögensrechte, die noch mit der „alten“ Technologie in Verbindung stehen, signifikant entwertet werden. Wer braucht noch KnowHow und Maschinen rund um einen Verbrennungsmotor-Antriebsstrang, wenn sich zukünftig Elektromotoren durchsetzen?

Ein anderes, in der Vergangenheit angesiedeltes, Beispiel:
Sobald eine Rechtsperson oder Organisation den Schreibcomputer erfunden hat, kommen alle Schreibmaschinenproduzenten massiv unter Druck. Was diese Schreibmaschinenproduzenten nun machen können, ist „investieren“, d.h. ihre ihnen noch zur Verfügung stehenden Vermögensrechte – z.B. als Kreditsicherheiten – einzusetzen um sich zu verschulden und damit zu versuchen die neue Technologie ebenfalls produktiv und profitabel einzusetzen und gerade damit die Bewertung ihres Gesamtvermögens zu steigern oder zumindest zu erhalten.

Das hat oberflächlich betrachtet folgende Effekte:
„Für uns“ kommt dabei einerseits „bessere“ Technologie heraus: Schreibcomputer statt Schreibmaschinen, Löschtaste statt Tipp-Ex. Fein.
Aber nicht nur: durch viele Schreibcomputer-Hersteller, die alle versuchen ihre Schreibcomputer durch Kaufverträge los zu werden entsteht zudem ein Preisdruck auf den Innovator, so dass „wir“ (Konsumenten) Preise bezahlen, die möglichst wenig oberhalb der Herstellungskosten liegen.
Was springt für die innovativen Organisationen heraus? Als privatrechtlich organisiertes Unternehmen „dürfen“ sie weiter bestehen. Versagt eine privatrechtliche Rechtsperson bzgl. des privatrechtlichen Vermögenskalküls, d.h. die Bewertungen der eigenen Vermögensrechte werden geringer als die nominal fixierten und zum Termin fälligen Verbindlichkeiten, dann ist die Rechtsperson „überschuldet“ und muss einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens stellen.
(Anm. seit 2008 gilt in D: „es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich“, §19 Abs. 2 InsO – diese Aufweichung der zuvor strengeren Insolvenzordnung wurde nötig, weil politisch ungewollt war, dass (zu) viele privatrechtlich organisierte Banken, die sich im Zuge der Finanzkrise 2007/08 in der Situation einer Überschuldung befanden, einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens stellen mussten.)

Wie hängt diese Philosophie mit unserer Gesellschaft zusammen?

Was ist denn diese „unsere“ europäisch-westliche Gesellschaft genau?
Unter anderem ist sie eine Gesellschaft, die seit etwa 200 Jahren, mit einigen Rücksetzern, ständiges „Wirtschaftswachstum“ hervorbringt während davor weitestgehend totale Stagnation herrschte.

Wirtschaftswachstum? Was wächst da eigentlich genau?

Wenn mit „Wirtschaftswachstum“ die Erhöhung des sog. Bruttoninlandsproduktes ggü. des Vorjahres gemeint ist, dann wächst die Bewertung der innerhalb eines Jahres hergestellten Waren und verkauften Dienstleistungen, abzüglich der sog. Vorleistungen und Gütersubventionen zzgl. Gütersteuern. All diese Kategorien sind nicht stofflicher Natur, sondern Werte, die in einer Rechnungseinheit ausgedrückt werden (z.B. €). Anders als oberflächlich anzunehmen, heißt also positives „Wirtschaftswachstum“ überhaupt nicht, dass notwendigerweise mehr Ressourcen zu Müll verwandelt werden müssten.
Ein Wirtschaftskreislauf ist nicht das selbe wie ein Stoffkreislauf. Wirtschaft dreht sich primär um in einer Rechnungseinheit bewertete Vermögensrechte, die – wie grundsätzlich alle Rechte – gänzlich unstofflich sind.

Entspricht diese Philosophie, das Wachstum usw. dem menschlichen Wesen?

Nein.
Die europäisch-westliche Gesellschaft, d.h. „unsere“ Gesellschaft, ist eine historisch spezifische Gesellschaft. Mit universalen menschlichen Eigenschaften eine historisch spezifische Gesellschaftsform erklären zu wollen ist ambitioniert. Universalismen können unmöglich ausreichende Erklärungskraft für historische Spezifika entfalten, da sie universale Gültigkeit beanspruchen und somit nur für kontinuierliche „Entwicklungen“ als Erklärungsmuster in Frage kommen könnten, nicht aber für einen Bruch, wie die Explosion des Wirtschaftswachstums in Westeuropa ab 1800.
Wenn die „Erklärung“ also etwa sein sollte, dass der Mensch „halt nun mal so“ sei, warum hat dann die unfassbar schnelle Zunahme der Produktivität um etwa 1800 begonnen und nicht bereits 1300 oder 800? Warum begann das beständige Wirtschaftswachstum nicht bereits in der Antike, obwohl sich nicht nur Geld und Kredit, sondern auch technische Innovationen wie die Dampfmaschine finden lassen?

Woher kommt der ständige Zwang „höher, weiter, größer, besser,…“ ?

Die juristischen Personen unserer Zeit (insbes. die Kapitalgesellschaften: also die AGs, GmbHs, Ltds., usw.) sind im 19 Jahrhundert einem ganz bestimmten „Menschenbild“ nachempfunden worden: dem „homo oeconomicus“. Basierend auf dem reinen privatrechtlichen Vermögenskalkül. Auf sonst nichts. Drei Dinge sind für Kapitalgesellschaften wichtig: Profit, Profit und Profit.
Oder in unserer Terminologie: Reinvermögenszuwächse, Reinvermögenszuwächse und Reinvermögenszuwächse.
Kann die Kapitalgesellschaft nicht genügend Reinvermögenszuwächse aufweisen setzt sie sich der Gefahr aus von einer anderen geschluckt zu werden, da diese einen Kauf der anderen durch ihre eigene höhere Rentabilität finanzieren könnte, wenn Zugang zu Kredit keinen Engpass darstellt. Wenn gar kein Reinvermögen mehr da ist, dann kann die betroffene juristische Person – anders als eine natürliche Person – einfach „aufgelöst“ werden. Sie hört auf zu existieren, hat ihre Existenzberechtigung verwirkt oder ihren Zweck erfüllt.

D.h. eine bestimmte Vorstellung wie der Mensch „halt nun mal“ sei ist durch das spezifische Design der juristischen Personen im 19. Jhd. manifest geworden und wurde damit auf eine gewisse Weise „verewigt“ und hat zugleich gerade in dieser Form erstaunliche Wirkung entfaltet.
Die juristischen Personen unserer Zeit haben freilich eine Vorgeschichte, die mindestens bis auf die ostindischen Handelskompanien Englands und Hollands zurück geht, es gibt hier also auch geostrategische und militärische Komponenten, die zum spezifischen Design der Kapitalgesellschaften beigetragen haben dürften.

Man muss aber auch die andere Seite dieser Entwicklung mit erzählen: das privatrechtliche Vermögenskalkül basiert auf der „Privatautonomie“ sich entscheiden zu dürfen und entsteht als Prinzip im Denken und Handeln des „Bourgeois“, d.h. des Bürgers einer befestigten Stadt. Vor der Zeit der Territorialstaaten gibt es nur innerhalb der Stadt jene Bedingungen, die es Privaten erlaubt untereinander – als „Freie“ und „Gleiche“ – Verträge vereinbaren zu können. So waren etwa im Köln des 13. Jahrhunderts zwei Drittel aller Häuser vermietet, d.h. nicht nur der Vertrag war konzeptionell bekannt, sondern bereits ganz konkret der Mietvertrag (Uwe Wesel, Juristische Weltkunde, 2000 [1984], S. 63).
Hier erhebt sich die „bürgerliche“ Gesellschaft, auf der Basis des privatrechtlichen Vermögenskalküls, das als „Tüchtigkeit“ verbrämt wird, gegen die feudale Ordnung, welche eine individuelle Privatautonomie gar nicht kennt.

Ein schmutziges Geheimnis dabei ist: das privatrechtliche Vermögenskalkül ist just gerade das: ein VERMÖGENskalkül. Es ist KEIN ARBEITskalkül oder TÜCHTIGKEITskalkül oder ähnliches. Die bürgerliche „Leistungsgesellschaft“ ist also insofern ein Mythos als dass gerade nicht derjenige die höchsten Einkommen erzielt, der am meisten arbeitet/leistet oder am tüchtigsten ist, sondern derjenige, der die profitabelsten Vermögenspositionen aufweist. Wie der Vermögende zu den Vermögensrechten gekommen ist muss für das Leistungsgesellschaftsnarrativ konsequent ausgeblendet werden, es wird also so getan als könnten Vermögensrechte ausschließlich durch Arbeit und/oder Leistung entstehen. Das allerdings setzte voraus, dass es keine Einkommen aus Vermögen gäbe, was gänzlich wirklichkeitsfremd ist, denn die Einkommen aus Vermögen sind gerade die höchsten Einkommen.

Danke für’s Lesen, Kommentieren und Teilen!

2 Kommentare

  1. Hallo

    Du stellst in Deinem Beitrag sehr viele fundamentale Fragen/Thesen auf einmal, und versuchst sie, nur kurz und oberflächlich zu beantworten, was man aber auch als Einladung sehen kann, es zu ergänzen und weiter zu forschen.

    Ich hätte es aber eventuell für zielführender gefunden, sich auf ein oder zwei Fragen zu konzentrieren und diese genauer zu erforschen. Eventuell auch mit anderen Literaturhinweisen außer nur Uwe Wesel.

    Am Ende des Textes wirst Du dann tendenziell eher unsachlich und ein wenig bewertend („schmutziges Geheimnis“, „untüchtig“).

    Privatrechtliches Vermögenskalkül gibt es in zig Varianten in unserer Wirtschaft und ist auch aber nicht immer „schmutzig“, sondern kann auch dazu führen, dass Kapital (innerhalb des heutigen Systems) effizienter eingesetzt wird als bspw. der Staat es macht. Weil der Staat (die Entscheidungsträger) nicht mit eigenem Vermögen haften. Das muss alles viel differenzierter betrachtet werden.

    Zudem verfällst Du sinngemäß in alte dialektische Muster „raffendes vs. schaffendes“ Kapital, um das hier nochmal kurz mit anderen Worten anzusprechen.

    Doch auch (Hoch-)löhne sind im weitesten Sinne Kapitaleinkommen, denn die Angestellten profitieren ja (durch ihre Löhne) auch von der „Knappheit“ des jeweiligen Unternehmenskapitals (Innovation, Produktionstechnik, besonderer Standort, eventuell Ausbeutung Dritter, Risikokapital von Gläubigern etc.) auf dem Weltmarkt, so dass der Gesamtumsatz (speziell die Lohn- und Lohnnebenkosten) eines Unternehmens nicht nur „erarbeitet“ worden ist.

    Nur dass diese Lohn-Summe i.d.R. auf mehr Angestellte aufgeteilt wird und das Surplus hingegen über die fixen Lohnkosten hinaus, sprich das „Sahnehäubchen“ (bspw. Dividenden, Anleihenzinsen, Bankzinsen), auf einen kleineren Gläubiger-Kreis verteilt wird. (Wobei dieser Kreis nicht immer unbedingt kleiner sein muss, je nachdem Verhältnis Lohnangestellte zu Streuaktien-/Anleihenbesitzer, Banksparer).

    Hier sollte man differenzieren, wieviel Eigenverantwortung und Risiko ein Gläubiger auf sich nimmt, – um zu einer moralischen Bewertung zu gelangen. Wobei Kapitalbereitstellung im heutigen Wirtschaftssystem auch „Leistungen“ sind.

    Der Angestellte kann im Falle der Insolvenz sein Arbeitsplatz verlieren (und somit sein Einkommen) und der „ehrliche Gläubiger“ kann u.U. sein Geldkapital verlieren, wofür er u.U. lange gespart und auf Konsum verzichtet hat. Oder der Eigentümer eines Unternehmens haftet mit Haus und Hof, bleibt mit Schulden zurück, die er für den Betrieb machen musste, und will dafür höher entlohnt werden (Risikoprämie) als der normale Angestellte.

    Denn es ist die Regel, dass private Eigentümer ihr Eigentum (auch historisch betrachtet) mitunter auch mit Kredit belasten müssen, um es zu bewirtschaften, nicht nur um Gewinne zu erzielen,sondern auch die Abgabenschulden an den Staat (Herrscher) zu entrichten bzw. um notwendige Vorfinanzierungen zu leisten, ihr Vermögen also „verteidigen müssen“ auf dem Markt (Anlauffinanzierungen, Vorfinanzierungen um nicht vom Markt verdrängt zu werden u.a.).

    Das mag zwar „untüchtig“ oder „keine Arbeit“ sein, ist aber dennoch ein hohes Risiko und Verantwortung bzgl. des richtigen Bewirtschaften des kapitalen Vermögens.

    Zudem stellst Du implizit die Prämisse auf, dass nur die Angestellten eines Unternehmens von den „Knappheitsgewinnen“ (incl. die gesamten Lohnsummen wie eben begründet) profitieren sollten. Doch wenn Gläubiger oder Aktionäre dem Unternehmen im Markt helfen, zu überleben oder zu wachsen, und somit das Unternehmen verschuldungsfähiger machen, warum sollten sie dafür nicht entlohnt werden?

    Du schreibst:
    […]: das privatrechtliche Vermögenskalkül basiert auf der „Privatautonomie“ sich entscheiden zu dürfen und entsteht als Prinzip im Denken und Handeln des „Bourgeois“, d.h. des Bürgers einer befestigten Stadt. Vor der Zeit der Territorialstaaten gibt es nur innerhalb der Stadt jene Bedingungen, die es Privaten erlaubt untereinander – als „Freie“ und „Gleiche“ – Verträge vereinbaren zu können. […]

    Richtig. Denn warum sollten Feudalherren freiwillig Eigentum begründen – inkl. aller damit verbundenen bürgerlichen Rechten?

    Dennoch: Ein Rechtssubjekt kann nur dort entstehen, wo objektives Recht gesetzt (und finanziert/verteidigt) ist, wo Rechtsordnungen und Rechtsetzung durch Zentralmacht erfolgt.
    Eine Machtzession war also vorhanden.

    Und nur durch Vertragsfreiheit allein kommt noch kein Vermögenskalkül zustande.

    Entscheidend war (über den Naturalienverleih aus Überschüssen hinaus) lt. G. Heinsohn die unphysische (rechtliche) Eigentumsseite, die sich nun dazu gesellte, sprich das belastbare (verpfändbare) Eigentum (bspw. Ackerland, Vieh) für die Besicherung von Kredit und das Schaffen von Geld, aber auch für die Vermietung des Eigentums (Fremdnutzung).

    Doch dazu braucht es eine Machtzession, damit du Ansprüche oder Sanktionen überhaupt rechtlich durchsetzen kannst – Es sei denn, jeder Eigentümer hätte eine kleine Privatarmee unterhalten.

    Gab es überhaupt eine Stadt, die mit freien Einwohnern startete und Vertragsfreiheit ohne Abgabenzwang und Macht?
    Auch die griechische poleis startete übrigens nicht mit „freien“ Einwohnern, die dann in „freien“ Kontrakten „freie“ Zinsvereinbarungen treffen konnten. (Vgl. Loretana de Libero in ihrer Habilitationsschrift 1996 über die griechische Tyrannis) nachgewiesen hat

    http://de.wikipedia.org/wiki/Loretana_de_Libero

    Die „freien Griechen“ als Ausgangspunkte (!) der griechischen Geschichte sind eine Fiktion.

    Und die notwendige Machtzession hingegen kommt mir bei Gunnar Heinsohn zu kurz. Er schreibt bspw:

    „[…]Den Unterschied der griechischen Polis zu den herkömmlichen Besitzsystemen der Stämme, in denen man sich gegenseitig helfen muss, sowie zu den feudalen Gütern, auf denen Herren oder Politbüros ihren Leibeigenen Produkte und Dienstleistungen abpressen, markieren die Hellenen mit horoi. Das sind Grenzsteine, die Eigentümer nennen. Es können aber auch zusätzliche Steine sein, auf denen vermerkt ist, dass der Eigentümer sein Land verpfändet, also für die Aufnahme einer Hypothek belastet und damit seinen Verlust durch Vollstreckung riskiert hat[…]

    Das mit einem Horos-Stein markierte Eigentum schafft einigen Eigentümern, durch Los mit Sonne und Bächlein begünstigt, eine reiche Ernte, während andere umgehend an den Rand der Existenz geraten. Diese Gefährdeten bekommen nun weder blutsverwandtschaftliche Hilfe wie in den Stammesgemeinschaft noch Rationen vom Herren wie im Feudalismus. Als letztes Ass haben sie aber ihr Flurstück im Ärmel. Sobald sie begreifen, dass sie dieses besäen und abernten, im selben Zeitraum aber auch zusätzlich als Pfand für Kredit stellen können, ist die Aktivierung von Eigentum – also das Wirtschaften – in der Welt.[…]“

    Du schreibst:
    […]Wenn mit „Wirtschaftswachstum“ die Erhöhung des sog. Bruttoninlandsproduktes ggü. des Vorjahres gemeint ist, dann wächst die Bewertung der innerhalb eines Jahres hergestellten Waren und verkauften Dienstleistungen, abzüglich der sog. Vorleistungen und Gütersubventionen zzgl. Gütersteuern. All diese Kategorien sind nicht stofflicher Natur, sondern Werte, die in einer Rechnungseinheit ausgedrückt werden (z.B. €). Anders als oberflächlich anzunehmen, heißt also positives „Wirtschaftswachstum“ überhaupt nicht, dass notwendigerweise mehr Ressourcen zu Müll verwandelt werden müssten.[…]

    Man kann nominales Wachstum in der Tat vorübergehend herbeibuchen (bspw. via Staatsschulden und dem Kauf bestehender Güter), aber letztlich braucht es auch reales Wachstum, damit die Nominale nicht irgendwann „zusammenbrechen“. Die Realität lässt sich buchungstechnisch nicht überlisten und global wächst der Verbrauch trotzdem weiter – ohne Ende bis zum Ende, wie P.C. Martin immer so schön sagte.

    Nominales Wachstum ist immer gescheitert, nicht etwa am Zufall, sondern im Orchester aus sinkenden Grenznutzen zusätzlichen Kredits (Paul C. Martins „Tsatsiki-Effekt“), zusätzlicher Energie und zusätzlicher Komplexität (Joseph Tainter), bzw. an den Voraussetzungen jeder MaWi: den machtmonopolistisch garantierten, jedoch limitierten „fiktiven Waren“ Boden, Lohnarbeit und Geld (Karl Polanyi).

    Nico Paechs Modell hingegen sehe ich als das, was alle anderen, ausschliesslich in der Theorie funktionierenden, sozionomischen Modelle, von Jesus über Marx bis Keynes – Hallo Wolfgang Waldner 🙂 – und Mises auch waren, nämlich Utopie. Die Realität ist hingegen völlig anders, nämlich so, wie wir sie aus der Geschichte kennen (vgl. rückblickend Mesopot, Ägypten, Griechen, Osterinsel, Rom, Maya usw. usf.).

    Zum dysfunktionalen System der wirtschaftenden Bürger und Kollektivisten gibt es eine funktionale Alternative aus der Empirie: Nichtwirtschaftende Menschen sprich solidarische und geplante Eigenversorgung des Notwendigsten und Herauswachsen aus dem „Illusionswohlstand“

    Doch wer stellt diesen Konsens politisch her? Und wie sollen die Menschen in einer Transformation mitgenommen werden, wenn man der kapitalistischen Klasse bzw. den Besitzstandswahrern erklären muss, dass sie alle kürzer treten und ihre selbsterschaffene Komfortzone verlassen müssen? Und dazu gehören halt nicht nur „die Vermögenden“ wie Du implizit suggerierst.

    Dazu gehört auch die breite Mittelschicht der ZUVIElisation in den Hochlohnländern. Doch das kommt bei Dir überhaupt nicht vor. Du stellst wie gesagt implizit nur einen Gegenpol her zwischen der „ehrlichen Arbeit und Tüchtigkeit“ und dem schmutzigen Vermögenskalkül, sprich die üblichen „links-populistischen Untertöne“ die man so kennt.

    Hinzufügen möchte ich noch, dass auch die Lohn- Einkommen in unserer ZUVIElisation vom schmutzigen „privatrechtlichen Vermögenskalkül“ und vom nominalen (hochgebuchten) Wachstum (Kreditexpansion) abhängen, und diese überhaupt (noch) garantieren und somit den damit verbundenen materiellen Überfluss.

    Sprich das schaffende Kapital („die Leistungsgesellschaft“) ist mit dem „raffenden Kapital“ miteinander verzahnt, und das schaffende Kapital profitiert – wie eben bereits ausgeführt – profitiert ebenfalls in unserem Schlaraffenland des Illusionswohlstandes und materiellen Überflusses. Wir sind alle indirekt Nutznießer, nur dass bestimmte Gruppen halt mehr profitieren und das Sahnehäubchen zusätzlich abschöpfen.

    Wird es letztlich einen sozial „sanften“ Übergang geben oder ein Ohne Ende bis zum Ende bis der Abgrund kommt?

    Zitat Ludwig von Mises: „Es gibt keinen Weg, den finalen Kollaps eines Booms durch Kreditexpansion zu vermeiden. Die Frage ist nur ob die Krise früher durch freiwillige Aufgabe der Kreditexpansion kommen soll, oder später zusammen mit einer finalen und totalen Katastrophe des Währungssystems kommen soll“.

    Die vielen gewachsenen Betriebe und dazugehörigen Arbeitsplätze und (steigenden) Einkommen allerdings sind nicht durch Kreislauf und antizyklisches Handeln entstanden sondern durch prozyklisches Handeln aller Wirtschaftenden.

    Nachwort:

    Nachhaltigkeit ist eigentlich eine unbequeme Anpassung an reales Wirtschaften. Wohlstand für alle zu propagieren – wenn man nur will – in der aktuellen BANDBREITE, ist ein weiterer grosser Selbstbetrug unserer aktuell gelehrten modernen Volkswirtschaftslehre. Wenn man in die Matrix hineinkriecht, sie durchleuchtet, kann man auch zum Schluss kommen, daß VWL, BWL in der Nachbetrachtung, der Erfahrung, mehr und mehr zu einer Lehre der puren Umverteilung von Geldeinheiten genutzt wurde.

    Mit der Eigentumswirtschaft (kreditierbares Eigentum) kam zwar nicht die Wirtschaft selbst, aber eine enorme Beschleunigung der Wirtschaft in die Welt. Und auch die Möglichkeit, Vorfinanzierungen (auch global) immer mehr auszuweiten und Bilanzen und somit auch die Verbindlichkeitenseite immer mehr zu verlängern.
    Und je mehr Schuldtitel als zusätzliche Pfänder existieren, desto mehr Zahlungsmittel können emittiert werden. Das gibt wiederum Räume für neue Optionen und neue Geldkreisläufe (Cahsflow bzw. alle Arten von Einkommen).

    Doch alles in allem stehen Forderungen (Termine) und erhöhte Tilgungslasten im Raum, die erst in Zukunft erfüllt werden. Das nenne ich hier Leben im Vorgriff. Denn ohne diese Verbindlichkeiten fallen viele Eigenkapitale (und nominal variable Beleihungswerte) in sich zusammen, was sich in der letzten Finanzkrise ja angedeutet hat. Kapital wird bekanntermaßen an zukünftigen Einkommen bewertet.

    Wir verschaffen uns halt laufend Zeit, indem wir Erfüllungstermine nach vorne verschieben aber in der Gegenwart dennoch Gewinne verzeichnen können.

    Geld ist der Grund, weshalb Staaten und Private Schulden nicht erfüllen müssen, sondern die Erfüllung auf Übermorgen vertagen können (anstatt nur den Preis zu bezahlen). Dies deshalb, weil die Funktion der Eigenschaft Geld eine „ewige Option“ ist. Nur deshalb gelingt die Aufschuldung der Staaten und Privaten, welches unsere Wirtschaft am Laufen hält.

    Und nur darum geht es beim Geld. Es schafft Zeit, die der Gläubiger alleine niemals bereit gewesen wäre einzuräumen. Zeit für die Privaten, Zeit für die Machthalter. Wir schulden uns und die Staaten der Welt nicht umsonst auf, sondern nur deshalb, um Zeit zu gewinnen. Bis die Quittung auf den Tisch kommt und die Kreditvergabe abbricht. Anders geht es gar nicht.

    Ohne Ende bis zum Ende.(Was noch näher zu begründen wäre)

    Gruß

    1. Danke für Deinen umfassenden Kommentar, lieber Joachim. Ich stimme Dir in vielen Punkten zu. Der Artikel ist bewusst oberflächlich und zugegebenermaßen wertend. Danke für den Hinweis auf die Habil von Loretana de Libero.
      Für weitere Literaturangaben verweise ich Dich für den Augenblick auf dieses Arbeitspapier (Academia Link).
      Alles Liebe
      Nicolas

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