Interview mit Jean Philippe Robé in DIE ZEIT
Joe Bidens Vorstoß für eine globale Mindeststeuer und die Pandora Papers haben den Blick der Öffentlichkeit auf die Steuervermeidungsstrategien transnationaler Konzerne wie Amazon, Apple, Google und reicher Privatpersonen gelenkt. Da Staaten Steuereinkommen brauchen, müssen sie diese dann von denjenigen eintreiben, denen solche Fluchtmöglichkeiten nicht zur Verfügung stehen. Das verschärft die ohnehin stark gewachsene ökonomische Ungleichheit weiter. Mehr noch: es verschiebt immer mehr Macht von den Regierungen der Nationalstaaten in die Geschäftsleitungen transnationaler Konzerne.
Wie aber das globale Rechtssystem solche legale Steuerflucht ermöglicht und warum sie auch durch internationale Institutionen wie die OECD oder die EU so schwer zu bekämpfen ist, bleibt durch die Brille der großen (orthodoxen UND heterodoxen) ökonomischen Theorien unsichtbar: in deren grundlegenden Modellen gibt es oft nur ‚den‘ Staat — statt wie in der Realität 200 souveräne Nationalstaaten, die und transnational mobilen Unternehmen, Konzernen und natürlichen Personen, die zwischenstaatliche Konkurrenzparadoxa ausnutzen, in Standort- und Steuersenkungskonkurrenz gezwungen werden; und oft nur ‚die Firma‘ — statt transnationaler Konzerne, die aus voneinander rechtlich unabhängigen, in verschiedenen nationalen Rechtsordnungen registrierten juristischen Personen (‚Konzernmutter‘ und diverse ‚Tochterfirmen‘) bestehen und ihre Profite über konzerninterne Verträge zwischen Tochterfirmen in Steueroasen verschieben. Wie z.B. amazon, das seine in D erzielten Profite regelmässig per Double Irish with a Dutch Sandwich in die Steueroase Luxemburg transferiert. Wie genau macht Amazon das? Siehe die Kurzbeschreibung mit Hinweisen auf genauere Quellen hier, sowie diesen exzellenten Artikel beim Deutschlandfunk.
Konzernmutter und Tochterunternehmen agieren dabei nach dem Plan der Konzernzentrale – konzerninterne Vertragsbeziehungen zwischen Tochterfirmen sind daher gar keine echten Marktbeziehungen, sondern Teil des konzerninternen, transnationalen Planwirtschaftssystems. Mancher transnationale Großkonzern hat heute schon mehr Macht als kleine Staaten: welch eine Ironie und welch ein blinder Fleck vieler Liberaler, daß Planwirtschaft anders als im 20 Jahrhundert im 21. Jhdt. mehr und mehr vom Markt selber – nämlich von den Zentralen transnationaler Großkonzerne her – droht (wir dürfen gespannt sein, wie die KP Chinas darauf reagieren wird)!
Doch die Rechtsverhältnisse in der globalen Wirtschaft, transnationale Konzerne, zwischenstaatliche Konkurrenzparadoxa und Internationale Politische Ökonomie werden in Spezialgebiete und Unter-/Nebenkapitel der Wirtschaftswissenschaft (VWL) verbannt, statt sie von vorneherein ins grundlegende Modell miteinzubauen, wie es die heutige globalisierte Realität erfordern würde. Die Tatsache, daß ca. 80% des Welthandels heute bereits aus grenzüberschreitenden, aber konzerninternen vertraglichen Transaktionen besteht, wird bisher sogar noch nicht einmal im Unterkapitel ‚Außenwirtschafts- und Zahlungsbilanztheorie‘ angemessen und systematisch erfasst; selbst die Statistiker der nationalen statistischen Ämter und Zentralbanken sowie internationale Institutionen beginnen gerade erst damit, systematisch und differenziert Daten dazu zu erheben und zu veröffentlichen. Doch während die grundlegenden VWL – Makromodelle noch immer blind für solche Fakten sind, finden sich entsprechende Empfehlungen zur Steueroptimierung per Standortwahl bereits längst in jedem BWL- und Bank-BWL-Lehrbuch.
Auch die meisten Juristen bleiben in ihrem Blick noch immer national oder zumindest auf ihren jeweiligen Rechtskreis fixiert und blicken selten über den Tellerrand ihrer Fachdiziplin hinaus in die VWL oder Politikwissenschaft, wie Katharina Pistor oft hervorhebt. Diejenigen, die in internationalen Wirtschaftskanzleien arbeiten, beraten transnationale Konzerne und international mobile Privatleute (natürliche Personen) meist bei der Steuervermeidung, ohne sich dabei immer aller problematischen ökonomischen Implikationen ihrer Arbeit für das System der Staaten voll bewußt zu sein.
Doch es gibt auch Ausnahmen:
Jean Philippe Robé, der als Anwalt für die internationale Wirtschaftskanzlei Gibson Dunn arbeitet und den wir 2016 auf der WINIR-Konferenz ‚Property Rights‘ bei seinem Vortrag ‚Property Rights and the World Power System‘ kennengelernt haben, hat 2020 ein grundlegendes Buch dazu geschrieben, das wir sehr empfehlen: Property, Power and Politics. Er analysiert dort die globalen Rechtsstrukturen und ihre ökonomischen Folgen aus rechstinstitutionalistischer Perspektive . Dabei kommt die Kritik an ökonomischen Theorien, die diese Rechtsstrukturen oft falsch verstehen und verkürzt in ihre Modelle aufnehmen, nicht zu kurz.
DIE ZEIT hat Jean Philippe jetzt dazu interviewt. Hier könnt ihr den Artikel lesen (Link direkt zum Artikel).